Das grosse Werk des Bruder Andreas

Vor vie­len Jahren habe ich die kleine Broschüre über den hl. Brud­er Andreas gele­sen. Dessen Inhalt hat mich so begeis­tert und angeregt, ein inniges Ver­hält­nis zum hl. Josef anzustreben.

Bescheidener Anfang

Brud­er Andreas war erfüllt von zärtlich­er, kindlich­er Liebe zum hl. Josef. Von früh­ester Kind­heit an hat­te er auf Anre­gung des from­men Pfar­rers Proven­cal den Heili­gen zu seinem Nährvater erko­ren. Er war sein unz­ertrennlich­er Gefährte und sein Ver­trauter während seines unsteten Lebens als Waisenkind und in allen Wech­selfällen sein­er Kind­heits- und Jugend­jahre. Er rief ihn an in allen Prü­fun­gen, Äng­sten und Nöten und fand bei ihm stets Hil­fe und Trost in allen seel­is­chen und kör­per­lichen Lei­den. In der Nähe seines ver­traut­en Fre­un­des kostete er die rein­sten Freuden seines Lebens.

An diesem Glück wollte er auch andere teil­nehmen lassen. Er suchte deshalb mit grösstem Eifer, die Andacht zu diesem mächti­gen Heili­gen auch seinen Mit­brüdern, den Schülern, Besuch­ern und Kranken einzu­flössen. Sein sehn­lich­ster Wun­sch war, die Verehrung des Schutz­pa­trons der katholis­chen Kirche über­all zu ver­bre­it­en.  Deshalb fasste er den küh­nen und grossar­ti­gen Plan, auf dem Mont Roy­al ein Ora­to­ri­um zu Ehren des hl. Josef zu grün­den. Der Mont Roy­al erhebt sich fast im Zen­trum der Stadt Mon­tre­al – die Stadt ist nach diesem Berg benan­nt – gegenüber dem Col­lege der Patres vom Heili­gen Kreuz. Es war damals ein steil­er, mit dichtem Wald bestanden­er Hügel. Aus dieser Wild­nis wollte der beschei­dene Laien­brud­er den Unter­grund eines prächti­gen Heilig­tums zu Ehren des heili­gen Nährvaters JESU machen. Die Mit­brüder betra­chteten dies als Torheit und Grössenwahn.

Es war im Jahre 1890. Brud­er Andreas spürte in sich stets das Heimweh nach dem Mont Roy­al. Abends sah man ihn oft den fel­si­gen Pfad hin­aufk­let­tern. „Brud­er Andreas, wo sind Sie denn gestern Abend hinge­gan­gen? Ich habe Sie auf den Berg klet­tern sehen”, fragte ihn eines Tages ein Schüler. – „Ich gehe dort hin­auf, um zum hl. Josef zu beten. Es ist dort ruhig.” – „Was, Sie gehen allein dor­thin? Fürcht­en Sie sich denn nicht?” – „Warum sollte ich mich fürcht­en? Hättest du vielle­icht Lust mitzukom­men?” – „O ja, sehr gerne, Brud­er Andreas!” – „Dann bitte deine Mut­ter um Erlaub­nis und wir gehen heute Abend nach dem Aben­dessen hinauf.”
 

Tat­säch­lich kni­ete an diesem Abend Brud­er Andreas mit seinem kleinen Gefährten am Fusse eines Baumes in ein­er Waldlich­tung. „Warum beten wir vor diesem Baum?”, fragte der Bub ver­wun­dert. – „Ich habe dort eine Medaille des hl. Josef ver­steckt. Er muss uns helfen, dass wir dieses Grund­stück erwer­ben kön­nen.” – „Wozu wollen Sie denn diesen Berg haben?” – „Um dem hl. Josef einen schö­nen Platz anzu­bi­eten.” Es war rührend, den Brud­er und den Kleinen mit so inniger Andacht vor diesem Baum beten zu sehen, der Zeuge so wun­der­bar­er Ereignisse wer­den sollte. Die Wall­fahrt zu diesem Baum fand in der Folge noch häu­fig statt und jedes Mal wieder­holte Brud­er Andreas seinem kleinen Begleit­er: „Wir bekom­men dieses Gelände ganz sich­er. Der hl. Josef braucht einen Platz.”

Er bat auch seine Mit­brüder, sich seinem Gebet anzuschliessen. Eines Mor­gens fragte ihn der Ver­wal­ter des Col­leges: „Brud­er Andreas, kön­nen Sie sich vielle­icht erk­lären, warum die kleine Josef­sstat­ue auf meinem Schrank jedes Mal, wenn ich mein Zim­mer ordne, dem Berg zugewen­det ist?” Ganz treuherzig erwiderte der Brud­er: „Weil der hl. Josef dort verehrt wer­den will.”

Nach wieder­holten Ver­suchen gelang es endlich dem Brud­er, seine Ordensgenossen für seinen Plan zu gewin­nen. Am 22. Juli 1896 wurde der Mont Roy­al von ihnen käu­flich erwor­ben. Die Medaille des hl. Josef hat­te also die beab­sichtigte Wirkung gehabt. Jeden Tag klet­terte nun Brud­er Andreas mit Erlaub­nis sein­er Oberen auf den Mont Roy­al, begleit­et von Brud­er Alberich. Bei­de waren mit ein­er Axt bewaffnet und fäll­ten nun mit grossem Eifer viele Bäume, um den Platz für eine Allee zu roden, die später den Namen “Boule­vard St. Josef” erhielt. In eine Felsen­nis­che stellte Brud­er Andreas ein kleine Josef­sstat­ue. Er forderte die Eltern der Schüler auf, den Hügel zu besteigen, um den her­rlichen Aus­blick zu geniessen und ein andächtiges Gebet zum hl. Josef zu ver­richt­en. So begann ganz beschei­den eine Wall­fahrt, die nicht aufhören sollte, immer mehr Men­schen anzuziehen.

Zu Beginn des Som­mers 1904 durfte Brud­er Andreas auf hal­ber Höhe des Hügels eine kleine Kapelle erricht­en. An einem Mittwoch, dem 19. Okto­ber 1904, wurde in dieser kleinen, hölz­er­nen Kapelle die erste Heilige Messe gefeiert. Die Patres sahen in der Kapelle eine Lösung, nicht mehr so viele uner­wün­schte Besuch­er in der Schule dulden zu müssen.

Ein erstaunlich­es Wun­der beze­ich­nete den Beginn der Arbeit­en. Eines Tages kam ein kranker Mann ins Col­lege. Er war ganz einge­fall­en und litt an einem unheil­baren Magenkrebs. Bei seinem Anblick sagte Brud­er Andreas: „Kön­nten Sie nicht mor­gen früh mit mir kom­men und auf dem Hügel arbeit­en?” – „Was soll ich dort tun?” – „Der Weg zur Kapelle muss ver­bre­it­ert wer­den. Ich brauche einen kräfti­gen Mann als Helfer.” – „Lieber Brud­er, ich täte es gerne, aber ich habe gar keine Kraft mehr. Ich möchte essen und kann nicht schluck­en.” – „Gut, kom­men Sie mor­gen mit mir früh­stück­en, und dann fällen wir Bäume.” Am fol­gen­den Mor­gen kam der Mann und tat dem reich­lichen Früh­stück, das ihm der Brud­er vorset­zte, alle Ehre an. Ohne die ger­ing­sten Beschw­er­den kon­nte er alles schluck­en. Dann machte sich diese “wan­del­nde Leiche” an die Arbeit und schuftete den ganzen Tag wie ein kräftiger Wal­dar­beit­er. Er fühlte kein­er­lei Schmerzen mehr, der Krebs war voll­ständig ver­schwun­den. Viele Monate hin­durch half dieser Mann dem Brud­er Andreas.

Am 19. Novem­ber 1904 wurde in der Kapelle des Col­leges eine Josef­sstat­ue eingewei­ht und in feier­lich­er Prozes­sion in das neue Heilig­tum auf dem Hügel über­tra­gen; auch ein Kreuzweg wurde darin errichtet. Diese winzige Kapelle kon­nte jedoch die immer zahlre­ich­er kom­menden Leute bei weit­em nicht fassen. Man stellte deshalb vor der Kapelle zwei lange Bankrei­hen auf.

Gen­er­alvikar Mgr. Relicort wei­hte die Kapelle in Gegen­wart der Lehrer und Schüler des Col­leges und ein­er grossen Men­schen­menge ein. An der Fas­sade der Kapelle wurde eine zweite Josef­sstat­ue aufgestellt. Damit war das Ora­to­ri­um des hl. Josef Wirk­lichkeit gewor­den. Der Schutz­pa­tron der heili­gen Kirche wird von nun an nicht mehr aufhören, an diesem gewei­ht­en Ort seine Gnaden­er­weise auf alle men­schlichen Nöte auszugiessen.

Brud­er Andreas war 59 Jahre alt, ein klein­er, krän­klich­er Mann, der äusser­lich nichts vorstellte. Vergessen waren nun alle Kämpfe und Beschw­er­den der ver­gan­genen Jahre. Voll inniger Freude genoss er den Tri­umph seines grossen Fre­un­des, des beschei­de­nen Handw­erk­ers von Nazareth. Aber es war nur ein sehr beschei­den­er Anfang. Das Unternehmen war von der Diöze­san­be­hörde noch nicht genehmigt. Auch hat­te sie noch nicht die Erlaub­nis erteilt, das Aller­heilig­ste in dem neuen Ora­to­ri­um aufzube­wahren. Man duldete nur, dass Brud­er Andreas seine Liebestätigkeit bei den Kranken, die zum Mont Roy­al strömten, ausübte. Er empf­ing sie zu Füssen der Josefsstatue.

Auszug aus “Bruder Andreas – Diener des hl. Josef”
Miriam-Verlag, Jestetten (D)